9 February 2017

Bundesfinanzhof erschwert Unternehmenssanierungen

Überblick

Der Große Senat des BFH hat in seinem gestern veröffentlichten Beschluss vom 28.11.2016 (GrS 1/15) den sog. Sanierungserlass für rechtswidrig erklärt. Die Entscheidung hat Auswirkungen für laufende Sanierungsverfahren, bei denen ein Forderungsverzicht der Gläubiger (sog. Haircut) erklärt werden soll. Ebenso kann sie bereits abgeschlossene Sanierungsverfahren betreffen, die steuerlich noch nicht abschließend geprüft sind.

Grundsätzliche Steuerpflicht von Sanierungsgewinnen

Im Zuge von Sanierungen können Gläubiger gegenüber einem Schuldner auf ihre Forderungen verzichten. Aus dem Wegfall der Verbindlichkeit ergibt sich für den Schuldner ein Buchgewinn (Sanierungsgewinn), der grundsätzlich steuerpflichtig ist. Hat der Schuldner steuerliche Verluste oder Verlustvorträge, können diese grundsätzlich mit dem Sanierungsgewinn verrechnet werden. Oft ist eine solche Verlustverrechnung aber nicht effektiv, weil die tatsächlich erlittenen Verluste steuerlich nicht abziehbar sind (z.B. Wertminderung von Beteiligungen) oder die Verrechnung sachlich beschränkt ist oder zeitlich gestreckt werden muss (insbesondere Mindestbesteuerung).

Demnach ist es möglich, dass auf den Sanierungsgewinn Steuern anfallen. Da diese Steuern bezahlt werden müssen und daher liquiditätswirksam werden, ohne dass ihnen ein Liquiditätszufluss gegenüber steht, können sie ein Sanierungshindernis darstellen. Der Forderungsverzicht kann dann wegen der Steuernachteile nicht erklärt werden.

Sog. Sanierungserlass der Finanzverwaltung

Die Finanzverwaltung wollte hier mit dem sog. Sanierungserlass (BMF-Schreiben v. 27.3.2003) helfen. Danach sollten die Finanzbehörden im Wege von Billigkeitsmaßnahmen zunächst ungeachtet der allgemeinen Beschränkungen eine Verrechnung aller steuerlichen Verluste mit dem Sanierungsgewinn erlauben und die Steuer auf einen danach etwa verbliebenden Sanierungsgewinn erlassen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt waren.

Die neue BFH-Entscheidung

Mit dem gestern veröffentlichten Beschluss des Großen Senats hat der BFH festgestellt, dass der Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt. Der BFH begründet dies wie folgt: Die Finanzbehörden müssten die gesetzlich festgelegten Steuern erheben (§ 85 Abs. 1 AO). Sie dürften nur dann von der Erhebung absehen, wenn dies im Einzelfall aus sachlichen oder persönlichen Gründen unbillig sei. Solche Billigkeitsmaßnahmen dürften aber nur dazu dienen „Härten im Einzelfall auszugleichen, die nicht zu dem vom Gesetzgeber gewünschten Ergebnis führen. Gründe außerhalb des Steuerrechts, wie z.B. wirtschafts-, arbeits-, sozial- oder kulturpolitische Gründe“ könnten Billigkeitsmaßnahmen nicht rechtfertigen. Die Berücksichtigung der außersteuerlichen Gründe im Steuerrecht sei dem Gesetzgeber vorbehalten und könne nicht von der nur gesetzesumsetzenden Finanzverwaltung durch einen allgemeinen Verwaltungserlass befördert werden.

Mit der Abschaffung der Steuerbefreiung für Sanierungsgewinne (§ 3 Nr. 66 EStG a.F.) im Jahre 1997 habe der Gesetzgeber erkennen lassen, dass er Sanierungsgewinne nicht länger steuerlich privilegieren wolle. Diesem Willen müsse weiter entsprochen werden, auch wenn sich seitdem die Rahmenbedingungen insbesondere bei der Abziehbarkeit und Verrechenbarkeit von Verlusten erheblich geändert hätten. Daher seien auch die aus den BFH-Urteilen zu § 3 Nr. 66 EStG a.F. abgeleiteten Kriterien des Sanierungserlasses nicht länger anwendbar. Der BFH schließt zwar nicht aus, dass eine Steuerentlastung für Sanierungsgewinne auch künftig aus sachlichen und persönlichen Billigkeitsgründen gewährt werden könne. Das ist aber nur aufgrund besonderer Umstände und nach Lage des Einzelfalls möglich. Welche Umstände das sein sollen, lässt der BFH allerdings offen.

Einordnung und mögliche Abhilfe

Der Beschluss des Großen Senats ist sehr zu bedauern, weil er erfolgreiche Unternehmenssanierungen erschwert und die Sanierungsbemühungen der Gläubiger, die den wirtschaftlichen Schaden aus dem Forderungsausfall zu tragen haben, geradezu konterkariert. Dies ist ein herber Rückschlag für den deutschen Restrukturierungsstandort. Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung und der Gesetzgeber auf diese Entscheidung reagieren. Nach den Gründen des Urteils dürfte es der Finanzverwaltung allerdings nicht leicht fallen, hier einen Ersatz zu schaffen, der auf abstrakte Kriterien abstellt und vorhersehbare Entscheidungen ermöglicht.

Auswirkungen in der Praxis

Bei abgeschlossenen Sanierungen, die noch nicht abschließend von der Finanzverwaltung geprüft worden, sollte Folgendes gelten:

  • Liegt eine verbindliche Auskunft vor, mit der Billigkeitsmaßnahmen in Aussicht gestellt werden, dürfte sich der Schuldner weiter darauf verlassen können. Auch wenn der Sanierungserlass wegfällt, kann die verbindliche Auskunft nicht widerrufen werden, wenn der Forderungsverzicht schon umgesetzt ist. Zwar entfällt eine verbindliche Auskunft, wenn die ihr zugrundeliegenden Rechtsvorschriften aufgehoben oder geändert werden (§ 1 Abs. 2 StAuskV), jedoch sollte es sich beim Sanierungserlass als Verwaltungsanweisung nicht um eine Rechtsvorschrift handeln. Zu beachten ist aber immer auch der Wortlaut der verbindlichen Auskunft und was darin genau zugesagt worden ist.
  • Wurde der Forderungsverzicht ohne verbindliche Auskunft umgesetzt, so kann sich der Schuldner jetzt voraussichtlich nicht mehr auf den Sanierungserlass berufen. Selbst wenn alle dort genannten Kriterien erfüllt werden, besteht kein Anspruch auf die Billigkeitsmaßnahmen. Die erweiterte Verlustverrechnung und der Erlass von Steuern können nur aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls erfolgen. Können solche nicht dargelegt werden, droht die Besteuerung des Sanierungsgewinns. Ob sich die Finanzverwaltung wegen des gebotenen Vertrauensschutzes (§ 176 Abs. 2 AO) zumindest an den bereits erlassenen Steuerbescheiden festhalten lassen muss, denen der Sanierungserlass (insbesondere hinsichtlich der uneingeschränkten Verlustverrechnung) zugrunde liegt, bleibt abzuwarten.

Bei laufenden Sanierungen kann ein steuerneutraler Forderungsverzicht nicht mehr wie bisher durch die Erfüllung der Voraussetzungen des Sanierungserlasses erreicht werden. Darüber hinaus ist zu beachten:

  • Ob die Finanzverwaltung hier im Einzelfall mit einer verbindlichen Auskunft weiterhelfen wird, bleibt abzuwarten, insbesondere weil der BFH die praktischen Hauptrechtfertigungsgründe für solche Entscheidungen (Erhalt lokaler Unternehmen und der Arbeitsplätze) für unmaßgeblich erklärt hat. Insoweit ist fraglich, ob hier seitens der Finanzverwaltung noch Unterstützung erwartet werden kann. Soweit keine positive Einzelfallentscheidung erhältlich ist, müssen andere Sanierungsmaßnahmen zumindest als Interimslösung genutzt warden, bis der Gesetzgeber oder die Finanzverwaltung Ersatz für den nun nicht mehr zur Verfügung stehenden Sanierungserlass geschaffen haben.
  • Bis dahin wird die BFH-Entscheidung neue Herausforderungen an die Sanierungspraxis stellen. Neben dem klassischen Forderungsverzicht ggf. mit Besserungsschein wurden auch bislang schon andere Sanierungsmaßnahmen der Gläubiger eingesetzt, wie zum Beispiel ein qualifizierter Rangrücktritt oder eine Schuldübernahmestruktur. Führen diese aber im jeweiligen Einzelfall nicht zum Erfolg, wird die nachhaltige Sanierung durch die BFH-Entscheidung zweifelsohne erschwert und es wird möglicherweise wieder ein Anreiz gesetzt, Gestaltungen über das Ausland zu suchen.

Der Gesetzgeber ist daher dringend aufgerufen, sich trotz des Wahljahres kurzfristig der für jede erfolgreiche Sanierung wichtigen Steuerfrage korrigierend anzunehmen, nicht zuletzt, weil Unternehmenswerte und Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.

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